Sachverhalt
Der Edelmann-Fall ist ein absoluter Klassiker zu der spannenden Frage, ob gesetzliche Formerfordernisse aus moralischen Gründen überwunden werden können. So wurde der Angestellte A im Februar 1920 von der Gesellschaft G als Betriebsleiter angestellt. Im August 1920 wurde A im Rahmen eines dreijährigen Dienstvertrages (heute: Arbeitsvertrag nach § 611a BGB) ein Haus als “Dienstwohnung” zugewiesen. Als im Februar 1922 ein neuer Dienstvertrag geschlossen wurde, räumte der Generaldirektor von G, der “adelige” Herr von Z, dem A im Namen von G ein Vorkaufsrecht für das Haus zum Preis von 120.000 Mark ein. Im Juni 1922 kam es jedoch zu Streitigkeiten, sodass A und G fortan getrennte Wege gingen.
A verklagte in der Folge G und Z als Gesamtschuldner mit dem Ziel, die Auflassung des Hausgrundstücks zu erreichen. Hilfsweise beantragte er die Feststellung, dass die Beklagten ihm allen Schaden ersetzen müssten, der ihm aus der Nichtübereignung des Grundstücks erwachse sei. Im Falle der Nichtübereignung müssten sie ihm den Wert des Hausgrundstücks auszahlen. Zur Begründung führte A aus, dass Z ihm 1920 bei einer Fahrt zu dessen Landsitz zugesagt habe, ihm das Haus zu übereignen für zwei nicht bar auszuzahlende Gratifikationen i.H.v. jeweils 60.000 Mark für Weihnachten 1920 und 1921.
Bei einer weiteren Fahrt im November 1920 habe Z seine Zusage wiederholt und auf die Frage von A nach der Ernsthaftigkeit des Versprechens ungefähr geantwortet, dass A vollkommen beruhigt sein könne. Bei ihm, dem Z, würden keine “jüdischen Gepflogenheiten” herrschen, denn er sei “von Adel”. Als A im Dezember 1920 noch einmal nachfasste, beschwichtigte Z ihn erneut. Es herrsche keine Eile, das Haus sei ihm, dem A, sicher. Er, der Z, habe sein festes Versprechen abgegeben und bislang noch nie sein Wort gebrochen. Im Februar 1922 lehnte Z eine notarielle Beurkundung mit der Begründung ab, dass dieser rein formale Akt unnötig sei. Sein “Edelmannswort” sei genauso gut wie ein Vertrag.
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Entscheidung
Das Landgericht Düsseldorf und das Oberlandesgericht Düsseldorf gaben der Klage von A statt. Zur Begründung führten sie im Wesentlichen aus, dass Z zwar wohl nicht von vorneherein die “arglistige Absicht” gehabt habe, den wegen § 313 BGB (heute: § 311b I BGB) formungültigen Schenkungsvertrag nicht zu erfüllen. Vielmehr habe sich Z erst später hierzu entschieden, nachdem es zwischen den Parteien zum Streit gekommen sei. In Anbetracht der früher “in einer so feierlichen Weise” gemachten Versprechungen verstoße die nunmehrige Weigerungshaltung des Z jedoch gegen den Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB sowie gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkender. G müsse sich das Verhalten von Z als ihrem Generaldirektor zurechnen lassen.
Auf die Revision der Beklagten hob das Reichsgericht das Berufungsurteil auf und wies die Klage mit Urteil vom 21. Mai 1927 (Az. V 476/26; RGZ 117, 121) ab. Zur Begründung führte der V. Zivilsenat im Wesentlichen aus, dass A die Auflassung des Hausgrundstücks im Ergebnis nicht verlangen könne. Der Schenkungsvertrag sei nach § 125 BGB nichtig, weil er nicht notariell beurkundet wurde und damit an einem Formmangel leide (§§ 518 I, 311b I 1 BGB). Der Mangel sei auch nicht geheilt worden, da A gerade nicht Eigentümer des Hausgrundstücks geworden sei (§§ 518 II, 311b I 2 BGB). All dies sei den Parteien bewusst gewesen und zwischen ihnen unstreitig.
Im Gegensatz zu den Vorinstanzen könne der Formmangel jedoch nicht mit Blick auf Treu und Glauben oder die Guten Sitten überwunden werden. Es liege im Wesen der gesetzlichen Formvorschriften, dass die Erklärung des rechtsgeschäftlichen Willens nicht verpflichtend sei, wenn die Form nicht gewahrt wird. Dies gelte auch dann, wenn der Wille in “besonders nachdrücklichen Worten” verlautbart und in “feierlicher Form” bekräftigt wurde, wie es vorliegt der Fall gewesen sei.
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Anmerkungen
Der Edelmann-Fall gehört zum absoluten Grundwissen im Rahmen des Allgemeinen Teils des BGB. Das Reichsgericht hat klargestellt, dass Formmängel nicht ohne weiteres durch etwaige Verstöße gegen Treu und Glauben oder die Guten Sitten überwunden werden können. Wer sich auf das Wort eines selbsternannten “Edelmannes” und damit auf eine bloße moralische Verpflichtung verlässt, anstatt die gesetzlichen Formvorschriften einzuhalten, darf sich nachher nicht wundern, wenn dieser sein Wort bricht. Kurzum: Recht schlägt Moral.
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