Sachverhalt
Die für ihren Jähzorn bekannte Angeklagte A wollte sich an der Geschädigten K rächen und diese verletzen. Eines Tages schlug sie ihr im Keller mit einem Hammer mehrfach auf den Kopf. Aus Angst vor einer Strafanzeige und weil sie die Schreie und das Röcheln der schwerverletzten K nicht mehr ertrug, entschloss sich A kurzerhand, diese zu töten.
Während A der K erneut mehrfach mit dem Hammer auf den Kopf und in das Gesicht schlug, verfiel sie in einen Rauschzustand („Blutrausch“). Um K endgültig zu töten, holte sie ein zufällig im Keller befindliches Bergmannsbeil und schlug mit diesem weiter auf K ein, die schließlich verstarb.
Später wurde festgestellt, dass A insgesamt 30 Mal auf K eingeschlagen hatte und dass fünf dieser Schläge tödlich waren. Es konnte jedoch nicht mehr ermittelt werden, welche der Schläge todesursächlich waren, mithin ob es sich dabei um die Hammer- und/oder um die Axtschläge gehandelt hatte.
Entscheidung
Das Landgericht Essen verurteilte A nur wegen versuchten Totschlags gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB zu 8 Jahren Zuchthaus. Eine Strafbarkeit wegen vollendeten Totschlags gem. § 212 Abs. 1 StGB käme nicht in Betracht. Zugunsten von A („in dubio pro reo“) müsse davon ausgegangen werden, dass die tödlichen Schläge nicht schon mit dem Hammer, sondern erst später mit dem Bergmannsbeil beigebracht worden seien. Zu diesem Zeitpunkt sei A jedoch aufgrund des Blutrausches schuldunfähig gem. § 20 StGB gewesen. Daher sei nur eine Verurteilung wegen Versuches möglich.
Die Tat sei auch nicht als versuchter Mord zur Verdeckung einer anderen Straftat gem. §§ 211 Abs. 2 Alt. 3, 22, 23 Abs. 1 StGB zu werten, weil es schon an einer „anderen Tat“ i.S.d. Vorschrift fehle. Die Schläge mit dem Hammer und dem Bergmannsbeil würden zeitlich und räumlich derart nahe beieinanderliegen, dass von einer einheitlichen Tat im Rechtssinne gem. § 52 StGB auszugehen sei („natürliche Handlungseinheit“).
Der Bundesgerichtshof gab der Revision der Staatsanwaltschaft mit Urteil vom 21. April 1955 (Az. 4 StR 552/54; BGHSt 7, 325) statt und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Essen zurück. Die Schwurgerichtskammer habe zu Unrecht eine vollendete Tötung gem. § 212 Abs. 1 StGB verneint. Es sei zwar in der Rechtsprechung anerkannt, dass hochgradige Affekthandlungen die Schuldfähigkeit ausschließen können. Dies gelte jedoch nicht bei einer schuldhaften Herbeiführung des Affektzustandes und wenn die vom Täter in diesem Zustand begangenen Handlungen nur unwesentlich von seinen Tatvorstellungen abweichen und von seinem Vorsatz umfasst seien.
Vorliegend habe A bereits vor Eintritt des Blutrausches den Entschluss gefasst, K zu erschlagen, und ihren Rauschzustand auch selbst herbeigeführt. Entscheidend – und vom Landgericht zu untersuchen – sei daher, welche Vorstellungen A von der Tat gehabt habe. Möglicherweise sei sie aufgrund früherer Jähzornausbrüche bereits gewarnt gewesen oder habe den Eintritt eines Rauschzustandes jedenfalls billigend in Kauf genommen. Selbst wenn beides nicht der Fall gewesen sei, bleibe es bei einer vollendeten Tötung, es sei denn, die Tatvorstellungen von A würden ganz erheblich von dem tatsächlichen Verlauf abweichen. Der bloße Wechsel der Tatwaffe von Hammer zum Bergmannsbeil reiche hierfür jedoch nicht aus.
Darüber hinaus sei auch § 211 Abs. 2 Alt. 3 StGB nicht durch die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit ausgeschlossen. Vielmehr würde der (versuchte) Mord mit der zuvor begangenen vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit stehen.
Anmerkungen
Der Blutrausch-Fall ist ein sehr brutaler und zugleich auch sehr bedeutsamer Rechtsfall. Der Bundesgerichtshof hatte sich im Wesentlichen mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein schuldhaft herbeigeführter Affektzustand automatisch zur Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB führt und hat dies überzeugend verneint. Darüber hinaus bestanden Probleme bei der Kausalität und dem Vorsatz – beides Punkte, die immer wieder in Klausuren problematisiert werden.
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Lösungsskizze
Strafbarkeit von A wegen Totschlags an K gemäß § 212 Abs. 1 StGB
- Tatbestand
- Tötung eines Menschen (+, mit Axt)
- Kausalität (+)
- Problem: Vorsatz
- Wechsel der Tatwaffe keine wesentliche Abweichung im Kausalverlauf (+)
- Rechtswidrigkeit (+)
- Problem: Schuld, § 20 StGB
- Kein Ausschluss der Schuldfähigkeit bei schuldhafter Herbeiführung des Affektzustandes (+)
- ggf. Qualifikation, § 211 Abs. 2 Alt. 3 StGB (oder eigenständige Prüfung)
- Ergebnis (+)