Sachverhalt
Der Labello-Fall ist ziemlich kurios: Täterin T ging in der Absicht, einen Überfall zu verüben, in eine Drogerie. Als ihr die im Geschäft befindliche Verkäuferin O den Rücken zudrehte, holte T aus ihrer Handtasche einen Lippenpflegestift (“Labello“), trat hinter O und drückte ihr eine Ecke des Labello-Stiftes in den Rücken. T wollte damit bei O den Eindruck erwecken, dass es sich dabei um eine echte Schusswaffe handelt. Tatsächlich hielt O den Labello-Stift für die Spitze eines Messers, einer Schere oder eines ähnlich gefährlichen Gegenstandes. Unter diesem Eindruck wehrte sich die völlig verängstigte O nicht, sondern übergab T, wie von dieser gefordert, das in der Kasse befindliche Geld. T flüchtete mit einem erbeuteten Betrag von rund 280,- DM.
Entscheidung
Das Landgericht Bielefeld verurteilte T wegen schwerer räuberischer Erpressung gem. §§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 2, 21, 49 Abs. 1 StGB a.F. zu einer Einzelfreiheitsstrafe von 10 Monaten. Das Gericht führte zur Begründung aus, dass in dem Vorgehen der T zumindest die konkludente Drohung gelegen habe, die O niederzustechen, wenn sie das Geld nicht herausgibt. Dabei sei unerheblich, ob der mit der Drohung beabsichtigte Erfolg überhaupt realisierbar war (was vorliegend aufgrund des Labello-Stiftes nicht der Fall war). Entscheidend sei vielmehr, dass die bedrohte O den Erfolgseintritt der Drohung für möglich gehalten habe.
Die Kammer sah in der Tat jedoch nicht nur eine (einfache) räuberische Erpressung gemäß §§ 253, 255, 249 Abs. 1 StGB a.F., sondern zugleich auch eine schwere räuberische Erpressung gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F., da es sich bei dem Labello-Stift um ein “Werkzeug oder Mittel” im Sinne dieser Vorschrift gehandelt habe. Hierfür genüge es, wenn der Täter irgendeinen beliebigen Gegenstand bei sich führt und diesen gezielt als Drohmittel einsetzt. Gegen das Urteil legte T Revision ein.
Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung des Landgerichts nur hinsichtlich der Verurteilung wegen (einfacher) räuberischer Erpressung und änderte den Schuldausspruch mit Beschluss vom 20. Juni 1996 (Az. 4 StR 147/96; NJW 1996, 2663) entsprechend ab. Eine Verurteilung wegen schwerer räuberischer Erpressung komme dagegen nicht in Betracht, da es sich bei dem Labello-Stift entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht um ein “Werkzeug oder Mittel” gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. handele. Bei der Auslegung des Begriffs dürften die objektive Umstände nicht völlig außer Acht gelassen werden, insbesondere wenn es sich wie vorliegend um einen völlig ungefährlichen Gegenstand wie einen Labello-Stift handele. In diesen Fällen dominiere vielmehr die Täuschung über die Gefährlichkeit des Gegenstandes.
Anmerkungen
Der Labello-Fall ist ein kurioser und zugleich auch wichtiger Strafrechtsfall. Das Landgericht Bielefeld und der Bundesgerichtshof hatten sich im Kern mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein völlig harmloser Gegenstand wie ein Labello-Stift als ein “Werkzeug oder Mittel” im Sinne des § 250 Abs. Nr. 2 StGB a.F. (heute § 250 Abs. 1 lit. b StGB) qualifiziert werden kann. Beide Entscheidungen zeigen, dass diese Frage nicht immer einheitlich beantwortet wird und eignet sich damit bestens als Klausurfall, etwa in Gestalt eines anderen ungefährlichen Gegenstandes.
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Lösungsskizze
Strafbarkeit von A gem. §§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) StGB
- Tatbestand
- Qualifizierte Nötigung (+)
- Nötigungserfolg (+)
- H.L. ➔ Vermögensverfügung (+)
- Vermögensschaden (+)
- Vorsatz (+)
- Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Bereicherung (+)
- Rechtswidrigkeit (+)
- Schuld (+)
- Problem: Qualifikation gem. § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) StGB (-)
- Fraglich ist, ob es sich bei einem harmlosen Gegenstand wie einem Labello-Stift um ein „Werkzeug“ i.S.d. Vorschrift handelt oder ob die Täuschung über die Gefährlichkeit im Vordergrund steht
- Ergebnis (+)